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 Kernbrennstoffsteuergesetz:
6.285 Millionen € Steuerschaden
durch absurde Rechtsformalien
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 Laut Bundesverfassungsgericht (BVG) gibt es außerhalb der durch das Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzordnung für Bund und Länder kein Steuererfindungsrecht.

Da sich die Kernbrennstoffsteuer nicht dem Typus der Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 GG zuordnen lässt, fehlt dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG).

Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit per 7. Juni 2017 veröffentlichtem Beschluss entschieden und das Kernbrennstoffsteuergesetz rückwirkend für nichtig erklärt.


Zwei Richter hatten ein gemeinsames Sondervotum zum Beschluss abgegeben, weil sie der Senatsmehrheit zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zustimmten.
     
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 Bei der Steuer handele es sich nach Auffassung des Gesetzgebers um eine Verbrauchsteuer im Sinn der Abgabenordnung. Steuerschuldner waren die Betreiber von Kernkraftwerken. Die Steuereinnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer betrugen für den Bundeshaushalt in den Jahren 2011 bis 2016 insgesamt 6.285 Millionen €.

Über ihre Ordnungsfunktion hinaus entfaltet die Finanzverfassung laut BVG eine Schutz- und Begrenzungsfunktion, die es dem einfachen Gesetzgeber untersagt, die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten. Nur innerhalb der durch Art. 105 und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe steht es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu „erfinden“ und bestehende Steuergesetze zu verändern.

Laut BVG entspricht die Kernbrennstoffsteuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinn aber nicht dem Typus der Verbrauchsteuer gemäß Art. 106 Abs. 1 Nummer 2 GG, den der Gesetzgeber benannt hat. Das BVG erkannte stattdessen eine "typusfremde" Besteuerung eines reinen Produktionsmittels.

Der Gesetzgeber ging in der Gesetzesbegründung nicht von einer Steigerung der Stromkosten aus, da nach seiner Auffassung eine „Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten nur in geringem Umfang möglich sein wird“, aber gerade das wäre ja der Wirkungsmechanismus einer Verbrauchsteuer.

Der Verstoß des Kernbrennstoffsteuergesetzes gegen Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG führt per BVG-Urteil zur Nichtigerklärung des Gesetzes - womit der Fiskus 6.285.000.000 € verliert und obendrein mehrjährig noch 6 % Zinsen/Jahr erstatten muss.

Juristen-Blindflug in Berlin oder Karlsruhe?

Auch FiskusLeaks-Chefredakteur Rolf Albrecht wurde von dem Urteil überrascht: "Auf den ersten Blick hat mich das Urteil und seine Begründung zugleich gefreut, geärgert und verwirrt:

•  Gefreut weil es positiv ist, dass das BVG dem Fiskus
   als raffgierigem Leviathan die Grenzen aufzeigt.
•  Geärgert, weil die die gigantische Rückzahlung
   nur in die Taschen einzelner Energiekonzerne geht,
   die sich ohnehin bereits bestmöglich um die nur
   bedingt kalkulierbare Höhe der Kernenergie-
   Folgekosten drücken wollen.
•  Verwirrt, weil auch andere Verbrauchsteuern
   gültig bleiben, egal ob sie am Ende nachvollziehbar
   bei den Verbraucherpreisen durchschlagen."

"Auf den Punkt gebracht, ist das Ganze ein peinliches Eigentor unserer staatsdienenden Juristen. Im Bundestag und in den beteiligten Ministerien sitzen aber so viele davon, dass am Ende wie üblich keiner verantwortlich zu machen ist. Nur die falsche Steuertyp-Benennung und obendrein die Dummheit einer typkonträren Gesetzesbegründung haben das Gesetz in die Nichtigkeitsfalle tappen lassen. Oder haben", so Albrecht weiter, "die Richter in Karlsruhe etwa einen falschen und zugleich sehr teuren Bock geschossen?"

Korrekt bezeichnet und ohne widersprechender Begründung wäre die Steuer gültig geblieben, wobei je nach Typ die Zustimmung des Bundesrates einzuholen ist - was hier aber gar nicht streitig war.

Thema ohne große öffentliche Reaktion

Eine große politische Reaktion ist nicht zu erwarten, zumal das Thema nur nach der Veröffentlichung des BVG-Urteils zwei Tage in den Massenmedien war.

Dabei würde die Milliardensumme ausreichen, um die ganzen Mehrkosten für Stuttgart 21 oder den ganzen neuen Berliner Flughafen zu bezahlen -- Themen die seit Jahren dominant immer wieder im Mittelpunkt stehen.

Da wir als Steuerzahler(innen) hier aber weder eine persönliche Rechnung noch eine Gutschrift bekommen, ist so eine Meldung schnell vergessen, obwohl die verlorenen 6.285 Mio. € umgerechnet ca. 75 € für jeden Bundesbürger ausmachen - sorry, mit Zinsen kommen wir auf ca. 90 €/Kopf.
     
   
   
 Auch der Fiskus wurde vom BVG überrascht

Eine Woche nach dem BVG-Urteil hat FiskusLeaks-Chefredakteur Rolf Albrecht mit Dr. Jürg Weißgerber, Pressesprecher für Haushalt und Steuerpolitik im Bundesfinanzministerium (BMF) gesprochen:

Erstmal reklamiert das BMF, dass das BVG ohne die zumeist übliche Anhörung entschieden hat und man daher keine inhaltliche Reaktionsmöglichkeit mehr hatte.

Zudem sieht das BMF im Urteil eine Kehrtwende, des BVG, was in früheren Fällen im Kontext anderer Verbrauchsteuern den Gesetzgeber bestätigt hatte.

Obendrein verweist das Ministerium auf das positive Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zwei Jahre zuvor zum gleichen Thema, welches die Steuer als zulässig anerkannte und keinen Widerspruch zum Unionsrecht feststellte.

Ob der Fiskus die finale Nichtigkeit des Gesetzes noch verhindern will/kann, konnte Dr. Weißgerber nicht prognostizieren, weil durch die nahe Bundestagswahl so schnell kein Verfahren prüf- und umsetzbar war.

"Zwei Juristen - drei Meinungen"

"Das Desaster dieses Falls ist leider typisch für unser überbürokratisiertes Rechts- und Steuersystem. Jeder Jurist und jeder andere Beteiligte hat seine Meinung und seine Interessenlage und versucht diese möglichst geschickt hinter formalen Auslegungen zu verstecken und durch die Formalien durchzusetzen. Das Ziel eines Gesetzes und die Angemessenheit seine Ergebnisse spielt am Ende gar keine Rolle mehr", so Albrecht.

Wie sollen Bürger(innen) eine Steuermoral behalten, wenn rechts und links Millionen und Milliarden in den Wind geschossen werden? Ohne Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen schießen dann leicht Spekulationen ins Kraut, die es auch in diesem Fall schon geben soll: Haben interessierte Kreise oder Lobbyisten gezielt Schwachstellen ins Gesetz eingeschleust um dann von der Nichtigkeit zu profitieren? Gibt es einen Machtwettbewerb zwischen den Gerichten? Ist Bestechung im Spiel?

FiskusLeaks wird sich an faktenfreien Spekulationen nicht beteiligen. Aber klar ist, "Regierung, Verwaltung, Parlament und Gerichte brauchen eine systemorientierte Reformdebatte um zu einen nachvollziehbaren Rechts- und Steuersystem zurückzufinden", so Albrecht abschließend.
     
   
   
 Bekommen Stromkunden Ihr Geld zurück?

Der Bund zahlte im Juni 2017 rund 6,3 Mrd. € Kernbrennstoffsteuer an die Energiekonzerne zurück. Dies geht aus dem Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums hervor. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) forderte die Konzerne deshalb auf, die Steuererstattung den Kunden zurückzugeben.

Letztlich hätten die Energiekonzerne die Steuer bei ihrer Preisbildung berücksichtigt, sodass der Kunde sie bereits gezahlt hat. Wird die Steuer erstattet, so sollte davon auch der Endverbraucher profitieren. Andernfalls hätte er doppelt gezahlt: Nämlich als Stromkunde und bei der Erstattung als Steuerzahler, so der BdSt.

Welch Wunder - die Energiekonzerne bestreiten die Doppeleinnahme, da die Steuer angeblich nicht umgelegt wurde und durch die Erstattung lediglich eine Ertragseinbuße kompensiert sei.  alb
     
   
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