| Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die zunehmende Zahl von Wallboxen und Wärmepumpen haben zur Folge, dass die Verteilnetze mehr und mehr Strom transportieren müssen. Neben dem Netzausbau gilt es daher vielerorts, das vorhandene Verteilnetz höher auszulasten.
Das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE entwickelt deshalb zusammen mit Partnern im Forschungsprojekt kurSyV neue Ansätze für die kurative Systemführung im 110-kV-Netz. Damit soll es möglich werden, die bestehende Netzinfrastruktur besser auszunutzen, um dort mehr Erneuerbare-Anlagen, Wallboxen und Wärmepumpen anschließen zu können, ohne die Systemsicherheit zu gefährden.
„Vorangehende Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass das Konzept der kurativen Systemführung großes Potenzial hat“, sagt Dr. Denis Mende, Projektleiter beim Fraunhofer IEE. „In unserem Projekt kurSyV untersuchen wir, wie sich dieser Ansatz auf die Verteilnetze anwenden lässt. Ziel ist es, die dort verfügbaren Flexibilitäten zu nutzen, um die Netze höher auslasten zu können – natürlich ohne Abstriche bei der Sicherheit zu machen.“
Damit werde es möglich, kurzfristig mehr Photovoltaik- und Windenergie-Anlagen und andere Energiewende-Technologien in die bestehenden Netze zu integrieren. „Zugleich gewinnen die Netzbetreiber mit der kurativen Systemführung für den notwendigen Netzausbau Zeit“, so Mende.
Das Fraunhofer IEE arbeitet bei kurSyV als Konsortialführer mit der Universität Kassel (Fachgebiet Energiemanagement und Betrieb elektrischer Netze), Westnetz, Siemens und Alterric Deutschland zusammen. Zudem sind LEW Verteilnetz, WRD Wobben Research and Development und Amprion als assoziierte Partner beteiligt. Das Anfang Mai 2024 gestartete Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Die Arbeit wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.
Das Vorhaben führt das abgeschlossene Forschungsprojekt InnoSys 2030 weiter. Dort haben Netzbetreiber, Technologie-Hersteller und Forschungsinstitute, darunter das Fraunhofer IEE, untersucht, welche Betriebskonzepte geeignet sind, um das Stromnetz effizienter auszulasten. Der Fokus lag dabei auf dem Übertragungsnetz. Die Forschenden sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein koordinierter Einsatz von kurativen Maßnahmen und leistungsflusssteuernden Betriebsmitteln bei gleichzeitiger Erhöhung des Automatisierungsgrads hier sehr vielversprechend ist.
Höchste Sicherheit auch ohne Kapazitätsreserve
Stromnetze werden heute mit einem Sicherheitspuffer betrieben: Fällt ein Betriebsmittel, etwa ein Transformator, aus, übernehmen andere Einheiten dessen Aufgabe. Für solche Fälle halten die Netzbetreiber bei ihren Betriebsmitteln stets Kapazitäten frei. Das schafft Versorgungssicherheit – hat aber zur Folge, dass das Stromnetz nicht so stark ausgelastet werden kann, wie es technisch möglich wäre.
Die kurative Systemführung sieht hingegen vor, das Netz im Falle einer Störung nahezu in Echtzeit mit vordefinierten Maßnahmen in einen anderen, sicheren Betriebszustand zu bringen. Etwaige Störungen werden also durch sehr kurzfristige, hochgradig automatisierte Eingriffe im laufenden Betrieb behoben. Damit ist es nicht länger notwendig, im Normalbetrieb Kapazitäten für Störfälle vorzuhalten. Die hohen Standards bei der Systemsicherheit bleiben dabei gewährleistet.
Weiterentwicklung von Leichttechnik-Komponenten
Die kurSyV-Partner erarbeiten im Projekt kurzfristig umsetzbare Konzepte für die kurative Systemführung in den Verteilnetzen, die auch die Potenziale von Erneuerbare-Anlagen, Speichersystemen oder Verbrauchern wie großen Ladeparks nutzen. Ein wichtiges Aufgabenfeld ist dabei die Weiterentwicklung von Leittechnik-Komponenten. Das ist notwendig, weil die im Schadensfall zu ergreifenden Maßnahmen komplex sind. Sie lassen sich nur dann nahezu in Echtzeit umsetzen, wenn dies weitestgehend automatisch erfolgt.
Besonderes Augenmerk legt das kurSyV-Team zudem darauf, Methoden zur Prognose von gesichert verfügbarer, kurativ nutzbarer Flexibilität zu entwickeln. Darüber hinaus untersuchen die Forschenden die Auswirkungen der kurativen Systemführung auf die Netzplanung. Anhand der Ergebnisse werden sie deren Grundsätze aktualisieren.
Nicht zuletzt erarbeiten die Projektpartner Vorschläge, wie sich die Anreizsysteme so weiterentwickeln lassen, dass das Bereitstellen von Flexibilität grundsätzlich und für die kurative Systemführung im Speziellen auch für Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen attraktiv wird.
Forschungspartner erstellen Musterlösungen
Als ein konkretes Ergebnis des Vorhabens werden die kurSyV-Partner Musterlösungen erstellen – samt individueller Anpassungen, so dass sich diese in die Systemführung integrieren lassen. Die entwickelten Lösungen werden bereits im Projektverlauf hinsichtlich ihrer Einsetzbarkeit, Wirkung und praktischen Relevanz analysiert.
„Die Verteilnetze sind schon heute mancherorts so stark ausgelastet, dass der Erneuerbare-Zubau ausgebremst wird. Dem lässt sich mit Netzausbau begegnen. Dafür ist aber viel Zeit notwendig. Die kurative Systemführung hingegen greift deutlich schneller. Mit unserem kurSyV-Projekt tragen wir also wesentlich dazu bei, eine Hürde beim Ausbau der erneuerbaren Energien abzubauen“, so Mende.
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E-Autos kann man an jeder Schuko-Steckdose mit 230 V aufladen. Mit einer Wallbox, wie hier im Bild, geht es deutlich schneller. Je mehr Fahrzeuge aber geladen werden, je wichtiger ist die Kapazität und Stabilität des Verteilnetzes. (Bild: Elektro+)
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